Ich selbst bin ja eher ein ruhiger Typ, manchmal richtig schüchtern. Aber bei der Fußball-Europameisterschaft habe ich festgestellt, damit kommst du nicht weiter. Erfolge brauchen Leidenschaft. Bis zum Letzen musst du gehen, über die eigenen Grenzen! Meine Oma sagte immer, von nix kommt nix. Mein großer Bruder hat mir angefeuert (wenn ich wieder mal an der Tanzfläche stand und mich nicht traute, ein Mädchen anzusprechen), los hau rein, volle Pulle! Und was raunen Stottertherapeut:innen ihren Klient:innen zu? Was schreiben sich SH-Gruppen auf die Fahnen? Halten die es mit der Leidenschaft? Oder sind die vorsichtig, nach dem Motto, alles braucht seine Zeit, jede:r hat sein persönliches Tempo, muss für sich selbst sorgen! Quatsch, würde Julian Nagelsmann sagen, zacki-zacki, das Leben ist kurz – leg einen Zahn zu! Wir sollten ihn anheuern, als Stotter-Coach. Er motiviert Leute, die selbst nicht mehr an sich glauben. Das wäre ein wahres Märchen.
In schlauen Büchern kannst du nachlesen: Jeder Sport, der mit Leidenschaft betrieben wird, jede berufliche Spezialqualifikation, jedes Hobby, das den Menschen erfüllt, ist nur deswegen so befriedigend, weil sich der eigene Fähigkeitsstand beim Handeln kontinuierlich erweitert. Ja, du quälst dich, aber du machst weiter, du spürst den ständigen Fortschritt. Deine Leidenschaft ist ein Motor, der dich voranbringt. Das macht zufrieden. Aber, könntest du einwerfen, die Sprechflüssigkeit erweitert sich manchmal ganz und gar nicht. Blockaden treiben dich ins Abseits, ständig kassiert man Eigentore. Selbst wenn sich Erfolge in der Eigenarbeit am Stottern einstellen, verfliegen die wie nix. Julian als Sportsmann würde uns das so erklären: Die Eigenarbeit am Stottern ist wie ein Ball, eben rund, man kann das Leder an vielen Stellen treffen (es gibt also viele Ansatzpunkte). Und: Wir haben es nicht nur mit einem kurzen Sprint, sondern mit einem Marathonlauf zu tun. Das braucht Geduld und Ausdauer. Und Trainingslager, bei denen ein neues Spielverständnis in den Blick gerückt wird, interaktive mentale Konzepte fürs Handeln, wache Beobachtungen fürs gemeinschaftliche Agieren. Na klar, da stimme ich zu. Das ist wie bei einer hilfreichen In-vivo-Arbeit: Sie erweitert den persönlichen Handlungsradius. Aber sie vermittelt auch ein neues Verständnis, wie Kommunikation funktioniert. Du verstehst dann besser was so läuft zwischen dir und deinen Gesprächspartnern. Und warum jemand den Ball, den du ihm zuspielst, nicht annimmt. Denk bloß nicht, das läge nur am Stottern! Beim Spiel mit Wörtern brauchst du – genauso wie beim Tanzen – Intensität und Leidenschaft. Ist doch wahr, oder?
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