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Use it or lose it

Jeder, der stottert, träumt von dauerhaften Erfolgen und möchte die Fortschritte, die bereits erzielt wurden, bewahren können. Steuerungsfähigkeiten ausbauen und sie sichern – darum geht es den Stotternden, aber auch den Stottertherapeut:innen. Beim Bouldern, der Kletterkunst an Felswänden oder künstlichen Kletterwänden (ohne Kletterseil und Klettergurt), kommt den Fingern die Aufgabe zu (aber nicht nur ihnen), Stärke zu zeigen und den Absturz zu verhindern. Es geht darum, für zunehmende Anforderungen an der Wand gewappnet zu sein, die Belastbarkeit durch Übungen, Training und Erwerb neuer Techniken auszubauen. Dies gilt ebenso für die Eigenarbeit am Stottern: Belastungen unter erschwerten Kommunikationsbedingungen müssen gezielt aufgesucht werden. Es gilt, sie auszuhalten, mit ihnen auf eine neue Weise umzugehen (das wird beispielsweise bei der In-vivo-Arbeit geübt). Kletterprofis ebenso wie Stotternde erwerben Fähigkeiten, die es ihnen erlauben, sich dicht im Kontakt zur Wand bzw. zum Gegenüber voranzuhangeln. Sie müssen sich „halten“ können und die Kraft zum Aufstieg bzw. zur Kommunikation gut einteilen. Abrutscher sind erlaubt, die Absprunghöhe beim Bouldern an der Kletterwand beträgt in der Regel max. 4 Meter – das Verletzungsrisiko ist hierbei relativ gering. Bei Trainingsübungen von Stotternden in schwierigen Kommunikationssituationen zeigt sich allerdings, dass viele Betroffene nicht gelernt haben, risikofrei auf die Nase zu fallen. Verständlicherweise scheuen sie sich davor – aufgrund ihrer langen Misserfolgserfahrungen mit Ängsten und Versagensgefühlen. Beim Bouldern wird diese wichtige Fähigkeit des Fallens systematisch beim Einstieg in den Sport erprobt, erlernt. Beim Stottern allerdings wird – in der Eigenarbeit und Therapie – viel zu wenig das Abrutschen, das Hinfallen geübt. Alle wollen gleich können. Sie ärgern sich, wenn es nicht gelingt, die Fähigkeiten zum Nicht-Stottern, zum Nicht-Vermeiden abzurufen. Dabei hieße es: Cool bleiben, den Absturz üben, ihn absichtsvoll herstellen, um daran zu wachsen. In-vivo-Arbeit, die Erfolg erzielen will, Selbsttraining und oft auch Therapie (in der Anfangsphase) haben nur dann Sinn, wenn sie regelmäßig und kontinuierlich stattfinden – denn die Bewältigungsfähigkeiten müssen immer wieder gestärkt werden. Dieser Anspruch gilt längst als Selbstverständlichkeit im Leistungssport, nicht nur beim Bouldern. Natürlich ist die Arbeit am Stottern vergleichbar mit Leistungssport, oft mit Hochleistungssport. Ja, du hast richtig gelesen! Selbsttraining lässt sich nicht zu einem Hobby degradieren. Vielmehr sollten wir es zu einer Leidenschaft adeln! Also: Wenn einem die Bewältigung der gesteckten Ziele entgleitet (gewissermaßen der „Zugriff“ nicht gelingt, die Kraft in den Fingern nicht zu bündeln ist), dann wäre es gut, sich die Mahnung von Van Riper (dem weisen Stotterexperten) ins Gedächtnis zu rufen: Alte Verhaltensmuster (Stottergewohnheiten) sind stärker als neu erworbene Verhaltensmuster (wie beispielsweise Sprechtechniken oder Stottermodifikationstechniken). Also, cool bleiben und weitertrainieren! Die Schweizerin Petra Klinger spricht von der „Kraft hinter der Kraft“, von der persönlichen Umgangsweise mit dem eigenen Schicksal und dem Bewahren und Ausbauen erzielter Erfolge. Sie ist vielfache Wettkampfsiegerin und Weltmeisterin im Bouldern und kam mit verkrüppelten Füßen zur Welt. Also: Use it or lose it! Ist doch wahr! Oder?

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