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Vier Perspektiven

(Aus meinem Grußwort zum 50. Kongress der Bundesvereinigung Stottern und Selbsthilfe e.V. im Oktober 2024)


Bild: Anja Mannhard © / aus der Serie: Die singenden Frolleins vom Bodensee

1. Betrachte das Fliegen, nicht das Abstürzen Wer selbst stottert hat es schwer, guten Mutes durch die Welten zu streifen. Als altgewordener Reiseleiter halte ich oft den Atem an: Betroffene richten den Blick viel zu oft auf das Stottern, auf das Abstürzen, auf ihre Blockaden, auf die Angst, statt an das Fliegen zu denken, das ihnen gelingt, an die Freude mitmischen zu können, an den Kontakt und die Verbundenheit, die entstehen, wenn erst die Kommunikation gewagt wird. Sei öfter wie ein Papagei, bunt und neugierig.


2. Betrachte Sprechen und Kommunikation, nicht das Stottern

Stottern ist allgegenwärtig. Du versuchst es zu kontrollieren, du lernst Tricks und bombensichere Techniken. Schön und gut. Das hilft – manchmal – manchmal oft. Aber es gilt eine andere Perspektive im Denken einzunehmen, und im alltäglichen Handeln umzusetzen. Es gilt, dich selbst als Gestalter deines Sprechens zu erleben, du selbst gestaltest deine Kommunikation, das kannst du variantenreich tun, vielfältig, verspielt. Es geht nicht um Kontrolle, nicht darum, das Stottern weg-kontrollieren zu wollen. Erforsche stattdessen die Ausdrucksformen deines verbalen und nonverbalen Mitteilens: Erforsche das Laut, das Leise, das Weich und Locker, die Heftigkeit, die unnötigen Anstrengungen, den Ton, das körperliche Spüren und das allgegenwärtige In-Bewegung- Sein. Bewegung im Geist, in deinen Lippen, deinen Händen. Der Blick auf das Stottern reduziert die Vielfalt deiner Bewältigungs-Möglichkeiten. Dein  Denken, deine persönlichen Ansprüche, deine Experimentierfreude, deine Motivation, sie bestimmen, wie du mit den Flügeln durch die Lüfte dieser Welt fliegst.


3. Freue dich über das Gelingen, Scheitern gehört zu jeder Veränderung!

Nico hat die Verkäuferin angeschaut, nachgefragt, hat gelächelt, sich freundlich verabschiedet, sieben Sätze waren das. Aber hinterher bei der Auswertung: Ach Scheiße, sagt sie, bin wieder bei Pppppulll-llover hängengeblieben. Nein, sage ich, Veränderung braucht deinen positiven Blick. Deine Begrüßung war freundlich. Da war Lächeln, Blickkontakt, Ruhe. Du hast nachgehackt. Du hast die Information, die du brauchtest, erhalten. Gelungen war das. Bitte beim nächsten Mal nicht nur einen, bitte zwei Blocks! – Ja, am Schluss eines Selbsttrainings steht viel zu oft die Missachtung, die Selbst-Abwertung. Nein, Scheitern gehört zum Lernen, zur Bewältigung des Stotterns dazu. Scheitere fröhlich – scheitere mit Absicht! Das macht das Selbsttraining spielerisch.


4. Betrachte die Zufriedenheit und nicht das Wollen Wünsche treiben uns an, konkrete Ziele bringen Schwung in das eigene Leben. Doch nimm dir Ruhe für die Zufriedenheit. Wertschätze was du erreicht hast! Pass auf, dass du nicht ständig deinen Blick auf das noch nicht Erreichte richtest. Hüte dich vor der Unzufriedenheit, die dir ständig vorgaukelt, noch mehr und noch schneller Erfolge vyeinfahren zu müssen. Man kann auch, frau kann auch mit Stottern zufrieden durch den Alltag wandern (fliegen, hüpfen, springen), gieß das Pflänzchen der Zufriedenheit öfter, lass es nicht verwelken.

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